«Hört auf, den Leuten zu helfen»

Warum eine Gemeinde ihre Sozialarbeit aufgab

Noch im letzten Jahrzehnt hatte die Broadway United Methodist Church in Indianapolis (USA) eine ganze Reihe von sozialen Programmen am Laufen. Heute ist es kein einziges mehr, und das ist kein Zufall.

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Die Gemeinde hatte ein Essensverteilungsprogramm, Schulkinderbetreuung, Kleiderverteilung und ein Jugendprogramm im Sommer, an dem bis zu 250 Kinder täglich teilnahmen. Heute sind diese Programme alle «beerdigt» worden. «Wir sagen hier in unserer Gemeinde buchstäblich: 'Hört auf, den Leuten zu helfen' sagt Pastor Mike Mather. «Ich meine das ernst.»

Neue Strategie nötig

Obwohl Pastor Mather die meisten der Sozialprogramme selber begonnen hatte – einige reichen bis in die 80er-Jahre zurück – brachten ihn eine Reihe von Tragödien im Umfeld der Gemeinde in den letzten Jahren zur Erkenntnis, dass etwas Neues dran sei. «Ich habe begonnen, darauf zu achten, was den Leuten wirklich wichtig war» hält Mather fest.

Weg vom Wohlfahrts-Denken

Statt einfach Nöte und unmittelbare Bedürfnisse zu identifizieren und zu stillen, greift die Kirche heute auf Gaben und Fähigkeiten der Menschen in ihrer Umgebung zurück, betont und verstärkt sie. «Die Kirche – und ich vor allem – hat eine Menge Arbeit getan, wo wir die Leute um uns herum im schlimmsten Fall wie eine andere Spezies behandelt haben und im besten Fall als Leute, mit denen man Mitleid haben und denen man helfen muss», beschreibt Mather den früheren Stil. Seit zehn Jahren ist die Gemeinde nun dabei, diesen Ansatz zu ändern. «Statt ein Verteiler von Geschenken zu sein, möchten wir etwas demütiger auftreten.»

Die Gemeinde engagierte einen Beobachter, dessen Aufgabe es nur war, stundenlang mit den Leuten um sie herum zu reden und sie zu beobachten, wenn sie in ihrem Garten arbeiteten. Statt Lücken und Mängel zu identifizieren – die dann gefüllt werden müssten – begann man, auf die Gaben und Fähigkeiten der Menschen in ihrem Umfeld zu achten; mit ihnen zusammen fing man dann an, Lösungen zu suchen, statt einfach Geschenke zu verteilen. 

Hilfe zur Selbsthilfe

Dieser Ansatz wird «fähigkeitsbasierte Sozialarbeit» genannt (asset-based community development) und wurde von Professor John McKnight von der Northwestern University mitentwickelt. Er stellte bei einem Besuch in der Gemeinde selbst fest: «Sie hören einfach auf die Gaben der Leute – 'Was hat Gott dir gegeben?'» Das bedeutet nicht, dass man Nöte und Probleme ignoriert, sondern dass man zuerst nach Lösungen unter den Leuten selbst sucht. Später können dann Institutionen und Dienste einspringen.

Der neue Ansatz hat dazu geführt, dass Menschen ihre gottgegebenen Gaben und Fähigkeiten neu entdecken und sie in verschiedenen Diensten und Aktivitäten miteinander teilen. Das führt zu einem neuen Bewusstsein der Würde der Menschen, öffnet kreativ den Weg für kleine Geschäftsideen und verstärkt das allgemeine Gefühl, dass die ganze Nachbarschaft miteinander verbunden ist und aufblüht. Der ganze Ansatz baut auf der Überzeugung auf, dass alle Menschen Gabenträger und Ebenbilder Gottes sind, nicht nur Konsumenten oder Objekte des Mitleids. «Unser Einsatz und unsere Grosszügigkeit sollte diese Wirklichkeit widerspiegeln», hält Pastor Mather fest. «Wir geben den Leute nicht Würde. Wir bestätigen sie.»

Zum Thema:
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Datum: 15.04.2015
Autor: Reinhold Scharnowski
Quelle: Livenet

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