Blick-Kolumnist Giuseppe Gracia

«Der Staat darf nicht als Religionspolizei entscheiden»

Der Medienbeauftragte des Bistums Chur, Giuseppe Gracia, äusserte sich in einer Kolumne in der Boulevardzeitung «Blick» zur Burka-Frage. Dies nachdem in den Niederlanden das Burkaverbot nach rund 14-jähriger Debatte in Kraft trat.

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Giuseppe Gracia
Das niederländische Innenministerium mahnte Kommunen und zuständige Stellen, das seit dem 1. August 2019 geltende Burkaverbot auch durchzusetzen. Sicherheitsbeamte sollen verschleierte Frauen zunächst auffordern, ihr Gesicht zu zeigen. Wenn sie sich weigern, kann ihnen der Zugang zu öffentlichen Gebäuden untersagt werden und es drohen Geldstrafen von mindestens 150 Euro.

Kolumnist Gracia: Kleiderverbote bringen nichts

In seiner wöchentlichen Blick-Kolumne äussert sich der Schriftsteller und Medienbeauftragter des Bistums Chur, Guiseppe Gracia, kritisch dazu. Livenet publiziert hier mit freundlicher Genehmigung des Autors die erwähnte Kolumne:

Einige Länder verbieten die Burka, jetzt auch Holland. Wird die Schweiz folgen? Wer dagegen ist, gilt schnell als Verharmloser der frauenfeindlichen Islamisierung.

Ich habe nichts übrig für fanatische Paschas, die ihren Traum vom Harem mit Gott verwechseln. Trotzdem bin ich gegen das Burkaverbot. Denn ich habe auch nichts übrig für sogenannte Verteidiger des Abendlandes, die ihren Traum von der staatlich verordneten Leitkultur mit dem liberalen Rechtsstaat verwechseln. Ich meine Kreise, die in unseren Köpfen einen Grenzzaun gegen fremdländische Einflüsse hochziehen wollen und sich dabei feministisch geben.

Religiöse Kleidung oder mobiles Stoffgefängnis

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Der Kampf gegen Frauenunterdrückung ist nicht zu gewinnen mit Kleiderverboten. Der Staat kann nicht per Ferndiagnose den inneren Freiheitsgrad einer Burka-Trägerin bestimmen und sie gegen ihren Willen «befreien». Der Staat darf auch nicht als Religionspolizei über konfessionelle Fragen entscheiden, das heisst: auch nicht über die Frage, ob die Burka nun eine religiöse Kleidung sei oder ein mobiles Stoffgefängnis.

Zum Kern unserer Kultur gehört es, dass wir keinen religiös oder moralisch erziehenden Staat wollen, sondern möglichst grosse individuelle Freiheiten. Diese Kultur lässt sich nicht verteidigen mit neuen Verboten und mit einer Ausweitung der Staatsmacht auf Fragen der Weltanschauung.

Unerwünschter Lebensstil

In der Schweiz sollen die Menschen loyal zum Staat stehen und die Gesetze respektieren, im Übrigen aber so leben können, wie sie es für richtig halten. Wenn wir diese Haltung aufgeben, riskieren wir, dass eine wie auch immer definierte Leitkultur über der Freiheit des Einzelnen steht. Und wer immer dann die Macht hat, diese Leitkultur zu definieren, wird einen unerwünschten Lebensstil verbieten können, selbst wenn niemand gegen das Gesetz verstossen hat.

Dann wird sich zeigen, wie ernst es uns mit der Freiheit wirklich ist. Und was es bedeutet, wenn wir uns alle in eine vorgegebene Gesinnungsgemeinschaft einfügen müssen und man uns von oben herab zum richtigen Leben mit der richtigen Kleidung führen wird.

Hintergrund zum Burkaverbot:

Als erstes Land Europas hatte Frankreich 2011 die Vollverschleierung verboten. Mehrere Länder folgten. In der Schweiz gilt im Kanton Tessin ein Burka-Verbot seit Juli 2016, in St. Gallen seit Jahresbeginn. Derzeit ist zudem eine Volksinitiative für ein schweizweites Verhüllungsverbot hängig.

Zum Thema:
Keine nationale Einheitslösung: Bundesrat lehnt Initiative zu Verhüllungsverbot ab
Verhüllungsverbot: Tessiner Parlament nimmt «Anti-Burka-Gesetz» an
«Ich bin unbezahlbar»: Junge Niederländer fordern Ende der Prostitution

Datum: 06.08.2019
Autor: Florian Wüthrich / Guiseppe Gracia
Quelle: Livenet / Blick

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