Trauernde nicht allein lassen

Die Trauer gut verarbeiten – und darin wachsen

Trauernde fühlen sich nach dem Verlust eines nahen Angehörigen oft allein gelassen. Sie wissen nicht, wie sie mit ihren Gefühlen umgehen sollen. Dr. Hans Ulrich Reifler, ehemaliger Dozent des TSC St. Chrischona, und Karin Grösser Reifler, ehemalige Dozentin TDS Aarau, geben ihre Erfahrungen weiter.

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Karin Grösser Reifler und Hans Ulrich Reifler (Bild: zVg)
Hans Ulrich Reifler, Sie haben vor sechs Jahren Ihre Frau an einer schnellen tödlichen Krankheit verloren. Wie sind Sie mit dem Verlust umgegangen?
Hans Ulrich Reifler: Der Tod meiner Frau riss mir den Boden unter den Füssen weg. Es begann ein Marathonlauf für meine Seele, der begleitet war von Leere, Einsamkeit und tiefer Trauer. Ermutigt und getröstet haben mich vor allem meine Kinder und Grosskinder, nahestehende Freunde und die Zugehörigkeit zur Gemeinde. Im Vertrauen auf Gott, in Gebetsspaziergängen, in der geistlichen Musik und in der Dankbarkeit für 42 glückliche Ehejahre wurden mir neue Perspektiven zur Lebensbejahung und Zukunftsgestaltung geschenkt.

Karin Grösser Reifler, Sie haben Anfang 2014 ihren Mann nach einer jahrelangen Krebserkrankung verloren. Fühlten Sie sich in einer solchen Situation mit ihrer Trauer alleingelassen? Wie haben Sie das erlebt?
Karin Grösser Reifler: Ich habe sehr viel Unterstützung durch gute Freundinnen und Freunde erlebt und erfahren, dass die Gemeinschaft in meiner Kirchgemeinde trägt und Halt gibt. Ich wurde von einem Ehepaar regelmässig zum Essen eingeladen, diese Kontinuität in der Beziehung gab mir viel Kraft. Die Trauerverarbeitung geschieht alleine und im Austausch mit anderen, es braucht beides. Momente der Einsamkeit erlebte ich vor allem an Jahrestagen, am Geburtstag, Hochzeitstag und an Weihnachten – da braucht es neue Rituale.

Hans Ulrich Reifler, Sie führen heute zusammen mit ihrer neuen Ehefrau Karin Seminare zur Trauerverarbeitung durch. Ist das für Sie ein Teil ihrer eigenen Verarbeitung?
Hans Ulrich Reifler: Die angebotenen Trauerseminare habe ich nicht gesucht, um die eigene Trauer besser zu bewältigen. Sie sind die Konsequenz der eigenen schmerzvollen Verlusterfahrung. Obwohl sie Inspirationsquelle vertiefender Trauerverarbeitung sind, erlebe ich sie gleichzeitig auch als eine enorme emotionale Herausforderung. Der Glaube an die Auferstehung Jesus Christi und die damit verbundene Zukunftserwartung helfen mir in der Tauerverarbeitung zu neuer Hoffnung und geben mir Mut zur Lebensbewältigung.

Karin Grösser Reifler, welches sind die häufigsten Symptome für Trauer?
Karin Grösser Reifler: Eine Verlusterfahrung wird sehr unterschiedlich erlebt und verarbeitet. Da gibt es kein Rezept und keinen allgemeingültigen Verlauf. Die Trauerforschung hat Phasen beschrieben, die bei vielen Menschen vorkommen, allerdings unterschiedlich lang und in ganz individueller Intensität. Der Verlust eines nahestehenden Menschen ist oft begleitet von seelischen, somatischen, sozialen und spirituellen Reaktionen. Dazu gehören zum Beispiel Konzentrationsstörungen, Weinen, Wut, Hyperaktivität, Appetitlosigkeit, Schlafstörungen, soziales Desinteresse, Einsamkeit, Sinnkrise, Zweifeln an Gott oder ein tieferes Gebetsleben.

Wie können wir als gute Freunde Trauernde verstehen und sie unterstützen?
K. und H. U. Reifler Grösser: Ganz wichtig ist die kontinuierliche und geduldige Begleitung, kombiniert mit dem Aushalten der unterschiedlichen Stimmungen und Verfassungen. Für und mit den Trauernden beten, sorgfältig zuhören, Beziehungen pflegen, ermutigen, trösten und helfen zur Reintegration in Gemeinde und Gesellschaft ohne billige und pauschalisierende Vertröstungen und sinnlose Trauermythen. Hilfreich ist ein gezieltes Nachfragen: «Was brauchst du?» oder einfach etwas Gutes tun, zum Essen einladen, das Mittagessen vorbeibringen, zur Teilnahme an einem Konzert, Kinobesuch oder Theater motivieren.

Über die Personen

Dr. Hans Ulrich Reifler: Geboren und aufgewachsen in Basel. Nach seiner kaufmännischen Grundausbildung und Berufsausübung in einem Treuhandbüro studierte er am Theologischen Seminar St. Chrischona (TSC) sowie am Regent College in Vancouver und promovierte in Theologie und Religionswissenschaft an der Evangelischen Theologischen Fakultät in Leuven. Von 1976-1991 arbeitete er als Missionar, Dozent und Autor mit SAM global in Brasilien, von 1991-2014 unterrichtete er als Dozent für Missionswissenschaft am TSC in Basel. Er hat vier erwachsene Kinder und zehn Grosskinder.

Karin Grösser Reifler: Geboren und aufgewachsen in Nagold, im Nordschwarzwald. Nach der Matura studierte sie am Theologisch Diakonischen Seminar (TDS) in Aarau, arbeitete im CEVI, in der reformierten Kirche des Kantons Bern und Basel. Von 2001-2013 unterrichtete sie als Dozentin für Gemeindeentwicklung am TDS und später als Gastdozentin am TSC. Seit 2014 ist sie freiberuflich tätig als Coach, Organisationsberaterin und Theologin in den Bereichen Bildung und Beratung.

Zu ihren Trauerseminaren:

Bibelheim Männedorf (2. bis 9. Mai 2020)

Seeherberge Casa Moscia (24. bis 28. Juni 2020)

Zum Thema:
Durchhalten und Mut finden: Durch das tiefe Tal der Trauer gehen
Zwischen Trauer und Dank: Loslassen, damit Neues entstehen kann
Schmerz und Verlust: In Trauer dem Partner beistehen

Datum: 17.03.2020
Autor: Fritz Imhof
Quelle: Livenet

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