Kritik an Urteil

«Suizid soll nicht normal werden»

Wenn ein Mensch sein Leben beenden will, soll er im Extremfall tödliche Medikamente bekommen dürfen. So hat das deutsche Bundesverwaltungsgericht entschieden – entgegen der bisherigen Rechtsprechung. Das widerspreche grundlegenden ethischen Massstäben, kritisiert ein Beitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und macht Vorschläge, wie Suizid im Alter verhindert werden kann.

Zoom
Der Theologe Peter Dabrock macht sich dafür stark, dass Suzid nicht zu einer normalen Form des Sterbens wird.
Suizid soll nicht zu einer normalen Form des Sterbens werden. Dafür machen sich der deutsche Jurist Steffen Augsberg und der Theologe und Vorsitzende des Deutschen Ethikrats Peter Dabrock in einem Beitrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) stark. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Leipzig vom März: Demnach müsse der Staat «im extremen Einzelfall» den Zugang zu einem Betäubungsmittel zur Selbsttötung erlauben.

Diesem Urteil war die Klage einer querschnittsgelähmten Frau vorausgegangen, die vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte ein solches Mittel in einer tödlichen Dosis ohne ärztliches Rezept haben wollte, um ihr Leben zu beenden. Das hatte das Institut damals abgelehnt. Zum Zeitpunkt des Gerichtsurteils war die Frau schon verstorben, ihr Mann setzte den Prozess fort. Das Gericht musste daher darüber entscheiden, ob das Institut ihr das Mittel vorenthalten durfte. Und kam zu einem Urteil, das der bisherigen Rechtsprechung – und auch der der früheren Instanzen in diesem Fall – widerspricht.

«Abwegiges Urteil»

Der Jurist Augsberg und der Ethiker Dabrock kritisieren das in ihrem FAZ-Beitrag. Das Urteil sei «abwegig». Es verdrehe die Bestimmungen des Betäubungsmittelgesetzes, wenn es im Kern zu der Auffassung kommt, dass Suizid eine Form von Therapie sein und der medizinischen Versorgung dienen könne. Ausserdem sei nicht geklärt, wann genau ein «extremer Einzelfall» vorliege.

Wenn eine staatliche Einrichtung also in Ausnahmefällen tödliche Medikamente zur Verfügung stellen soll, müsse sie bewerten, ob das Leben unter bestimmten Umständen – etwa mit Schmerzen und Lähmungen – zumutbar ist. Das spricht aus Sicht der Autoren gegen den ethischen Grundsatz, menschliches Leben nicht zu bewerten. «Jedes menschliche Leben ist als gleich wertvoll zu behandeln», erklären Augsberg und Dabrock. «Eine derartige staatliche Bewertung des menschlichen Lebens ist mit grundlegenden ethischen und verfassungsrechtlichen Vorgaben unvereinbar.»

Dem Leben auch im Alter Sinn geben

Die Autoren fordern, Pflege, lindernde Therapien und Hospize auszubauen und besser auszustatten, damit möglichst wenige Menschen wegen einer Krankheit oder im Alter ihr Leben vorzeitig beenden. Ausserdem müsse die Suizidprävention insgesamt gestärkt werden. Schliesslich weisen Augsberg und Dabrock noch auf einen sozialen Aspekt hin: Vor allem alleinstehende, alte Männer hätten sich in den vergangenen Jahren häufiger das Leben genommen. Daher sei es wichtig, «die Zeit des nicht mehr agilen Alters» mit «Sinn und Begegnung» zu füllen – durch «wohltuende Gemeinschaft».

Die beste Versicherung für ein selbstbestimmtes Leben bis ans Ende sei ein Ansatz, der Palliativversorgung, Altersmedizin und solidarische Lebenspraxis verbinde. Zugleich sei es notwendig, den Stimmen entgegenzutreten, die Suizid idealisieren und zu einer normalen Form des Sterbens machten.

Zum Originalartikel

Zum Thema:
«Chronisch hoffnungsvoll»: Wie Gott chronisch Kranken Hoffnung gibt
Hauptmotiv Autonomieverlust: Wenn Angst zum (Frei-)Tod führt
Alterssuizid erleichtern?: Exit-Vorstand bremst die vorpreschenden Alten

Datum: 05.12.2017
Autor: Jonathan Steinert
Quelle: Christliches Medienmagazin pro | www.pro-medienmagazin.de

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Leihmutterschaft
«Gebärmutter zu vermieten. Suche: Paar mit Kinderwunsch. Biete: Neun Monate Unterkunft für einen Embryo mit Vollpension. Miete gesamt 12000 CHF.» So...
Auf Platz 2 hinter China
Jeder Vierte in Deutschland bezeichnet sich selbst als nicht-religiös oder atheistisch. Das geht aus einer Umfrage in acht Nationen hervor. Nur in...
Ganz ohne Angst
Locker und in jugendlicher Sprache erzählt Tabea Tacke in «Fearless – 24 mutige Vorbilder aus der Bibel» die Geschichten von zwölf Männern und zwölf...
Krieg gegen die Ukraine
Am 7. Januar feiern die orthodoxen Christen Weihnachten. Russlands Präsident Putin will, dass zum Fest die Waffen seiner Armee in der Ukraine...

AKTUELLE NEWS

Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war nach 500 Jahren der erste deutsche Papst. Mit ihm sass von 2005 bis 2013 ein Intellektueller und Theologe von Weltformat auf dem Stuhl Petri. Nun ist der Papa Emeritus im Alter von 95 Jahren gestorben.
Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war nach 500 Jahren der erste deutsche Papst. Mit ihm sass von 2005 bis 2013 ein Intellektueller und Theologe von Weltformat auf dem Stuhl Petri. Nun ist der Papa Emeritus im Alter von 95 Jahren gestorben.
Leihmutterschaft
«Gebärmutter zu vermieten. Suche: Paar mit Kinderwunsch. Biete: Neun Monate Unterkunft für einen Embryo mit Vollpension. Miete gesamt 12000 CHF.» So könnte die Anzeige einer Leihmutterschaft, die in Europa noch verboten ist, aussehen.
Allianzgebetswoche 2023
Christen sind zur Freude aufgerufen – doch was bedeutet das? Darum geht es in der diesjährigen Allianzgebetswoche vom 8. bis 15. Januar 2023. Livenet veröffentlicht die täglichen Andachten, heute mit SEA-Generalsekretärin Viviane Krucker-Baud.
Auf Platz 2 hinter China
Jeder Vierte in Deutschland bezeichnet sich selbst als nicht-religiös oder atheistisch. Das geht aus einer Umfrage in acht Nationen hervor. Nur in China sind mehr Menschen nicht religiös.
Steigende Tendenz
Der jährliche Bericht über die religiösen Gemeinschaften Israels ergibt, dass die christliche Bevölkerung um zwei Prozent gewachsen ist. Somit macht ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung des Landes rund 1,9 Prozent aus.
Ganz ohne Angst
Locker und in jugendlicher Sprache erzählt Tabea Tacke in «Fearless – 24 mutige Vorbilder aus der Bibel» die Geschichten von zwölf Männern und zwölf Frauen aus dem Buch der Bücher.

Anzeige

Kommentar

Regula Lehmann: Empörung ist billig
Wir befinden uns inmitten der Fastenzeit vor Ostern. Livenet-Kolumnistin Regula Lehmann fastet...

Ratgeber

Zielbewusst und entspannt Gute Vorsätze für 2023
Die ruhigere Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr scheint dazu einzuladen, dass man sich überlegt...