Wie im Laden

Glaube «à la carte»

Menschen der heutigen Zeit haben nicht einen Glauben, sondern wählen ihn, wie in einem Laden, unter vielen Angeboten aus. Davon profitieren die christlichen Kirchen nicht, weil sich immer weniger Menschen an eine Organisation binden wollen. Dies berichtet die Journalistin Susanne Gaschke in ihrem Artikel «Die neuen Götter der Deutschen» für die Wochenzeitung «Welt am Sonntag».

Zoom
Der Hinweis auf die «neuen Götter der Deutschen» in der Überschrift ist allerdings irreführend, auch wenn er gut klingt. Fokus ist vielmehr die Situation der christlichen Gross- und Freikirchen in Deutschland. Der Artikel liest sich über weite Strecken wie ein Ratgeber für die christlichen Kirchen. Er spricht wichtige Trends an, auch wenn vieles davon nicht neu ist.

«In der modernen Marktgesellschaft gibt es extrem unterschiedliche Orte und Formen der Sinnsuche.» Oft gehe es dabei weniger um ein höheres Wesen oder das Leben nach dem Tod, so Jörg Pegelow, Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland.

2014: 400'000 weniger Kirchenmitglieder

Für das Jahr 2014, so der Bericht, rechnet die Evangelische Kirche in Deutschland mit 200'000 Austritten, ähnlich werde die Zahl der Katholiken sein, die ihre Kirche verlassen. Gründe für den Austritt seien sexueller Missbrauch, überzogene Protzbauten, die Kirchensteuer, die nun auch auf Kapitalerträge erhoben wird und ein «anti-instititutioneller Affekt», der auch Parteien und Gewerkschaften treffe.

Die Evangelische Kirche rechnet, so Gaschke, mit einem kontinuierlichem Niedergang der Mitgliederzahlen. Dabei profitierten die Freikirchen und auch die Esoterik allerdings nicht davon, so Jörg Pegelow.

Unruhe bei den Grosskirchen wegen Freikirchen

Die sechs grössten Freikirchen in Deutschland haben demnach 200'000 Mitglieder. Sie seien allerdings nur eine winzige Minderheit gegenüber den 24,2 Millionen Katholiken und 23,4 Evangelischen. Auch die Deutsche Evangelische Allianz (DEA) vertrete nur eine vergleichsweise kleine Gruppe (1,3 Millionen) von Kirchenmitgliedern. «Doch auch wenn die Zahlen und der Einfluss der Freikirchler auf die Religiösität in Deutschland somit eher gering sind», so Susanne Gaschke, «versetzen deren Selbstgewissheit und Dynamik die Grosskirchen in Unruhe».

Die meisten dieser Menschen bezeichneten sich als «evangelikal». «In bewusster Abgrenzung zu 'evangelisch' solle das bedeuten: nicht traditionell, lau und verkopft, sondern lebendig, emotional, bewusst. Ein Busse- oder Bekehrungserlebnis und eine persönliche Entscheidung für Jesus ist den Evangelikalen wichtig. Und in Anbetracht ihres Glaubenseifers, der fleissigen Arbeit in Parteien und Interessenverbänden entfalten sie durchaus Einfluss.»

Polarisierung nimmt zu

So werde der Graben zwischen Glaubensdistanzierten und Gläubigen in der Gesellschaft immer grösser, meint Jörg Pegelow. Er erwartet eine «Polarisierung zwischen sehr religiösen Freikirchlern und Esoterikern und einer sehr grossen Gruppe von indifferenten oder religionskritischen Personen».

Die Entwicklung wird aber, so Gaschke, auch Folgen für den Einzelnen haben, «denn er muss nun neben allen anderen Lebensentscheidungen auch ganz bewusst auswählen, was er glauben will.» Das werde die Angst, Fehler zu machen, weiter vergrössern.

«Kein Geschwafel»

Vor diesem Hintergrund sei es für die «religiösen Anbieter existentiell wichtig, sich zu fragen, was sich dem anti-institutionellen Trend entgegen setzen lässt.» Gaschke greift hier einen Rat von Kathrin Oxen, vom Zentrum für evangelische Predigtkultur in Wittenberg auf. Sie sagt: «Wir dürfen unsere Mitglieder nicht unterfordern. Menschen, die in den Gottesdienst kommen, haben eine hohe Erwartung an die Predigt. Sie wollen überrascht werden. Sie wollen einen neuen, gerne auch irritierenden Gedanken mit nach Hause nehmen. Sie wollen kein Geschwafel und kein leeren Formeln.»

Zum Thema:
Anders als das Klischee: Glaube in den USA abnehmend
Das Fresh X-periment: «Jeder Schritt auf diesem Weg ist ein Experiment»
Studie zeigt: «Fresh Expressions» gewinnt Menschen für den Glauben
Gebet und Evangelisation: Predigt von der roten Kiste

Datum: 24.02.2015
Autor: Norbert Abt
Quelle: Livenet

Kommentare

Ich denke, dass das nicht nur ein Problem der christlichen Gemeinschaften ist, sondern auch sonst in der Gesellschaft beobachtet werden kann. Andere Vereine haben auch Probleme Mitglieder zu finden und zu halten. Der Trend ohne Verpflichtungen irgendwo dabei zu sein ist gross. Man will sich halt nicht mehr verpflichten.

Glaubensfragen & Lebenshilfe

Diese Artikel könnten Sie interessieren

Allianzgebetswoche 2023
Christen sind zur Freude aufgerufen – doch was bedeutet das? Darum geht es in der diesjährigen Allianzgebetswoche vom 8. bis 15. Januar 2023. Livenet...
Allianzgebetswoche 2023
Mehr als einmal berichtet die Bibel von einem Apostel Paulus, der in Bedrängnis, Leid und Schwachheit Freude empfindet. Und er fordert auch uns dazu...
Livenet-Top 5
Hunderttausende Besucher haben im Jahr 2022 auf die Seiten von Livenet und Jesus.ch geklickt und eine Vielfalt von Artikeln gelesen. Wir haben die...
Für Ostern 2023
Passend zu Ostern wird die nächste «Viertelstunde für den Glauben» zum Thema «Aufblühen» erscheinen. Sie wird ab Februar 2023 verfügbar sein, bereits...

AKTUELLE NEWS

Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war nach 500 Jahren der erste deutsche Papst. Mit ihm sass von 2005 bis 2013 ein Intellektueller und Theologe von Weltformat auf dem Stuhl Petri. Nun ist der Papa Emeritus im Alter von 95 Jahren gestorben.
Benedikt XVI.
Benedikt XVI. war nach 500 Jahren der erste deutsche Papst. Mit ihm sass von 2005 bis 2013 ein Intellektueller und Theologe von Weltformat auf dem Stuhl Petri. Nun ist der Papa Emeritus im Alter von 95 Jahren gestorben.
Leihmutterschaft
«Gebärmutter zu vermieten. Suche: Paar mit Kinderwunsch. Biete: Neun Monate Unterkunft für einen Embryo mit Vollpension. Miete gesamt 12000 CHF.» So könnte die Anzeige einer Leihmutterschaft, die in Europa noch verboten ist, aussehen.
Allianzgebetswoche 2023
Christen sind zur Freude aufgerufen – doch was bedeutet das? Darum geht es in der diesjährigen Allianzgebetswoche vom 8. bis 15. Januar 2023. Livenet veröffentlicht die täglichen Andachten, heute mit SEA-Generalsekretärin Viviane Krucker-Baud.
Auf Platz 2 hinter China
Jeder Vierte in Deutschland bezeichnet sich selbst als nicht-religiös oder atheistisch. Das geht aus einer Umfrage in acht Nationen hervor. Nur in China sind mehr Menschen nicht religiös.
Steigende Tendenz
Der jährliche Bericht über die religiösen Gemeinschaften Israels ergibt, dass die christliche Bevölkerung um zwei Prozent gewachsen ist. Somit macht ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung des Landes rund 1,9 Prozent aus.
Ganz ohne Angst
Locker und in jugendlicher Sprache erzählt Tabea Tacke in «Fearless – 24 mutige Vorbilder aus der Bibel» die Geschichten von zwölf Männern und zwölf Frauen aus dem Buch der Bücher.

Anzeige

Kommentar

Regula Lehmann: Empörung ist billig
Wir befinden uns inmitten der Fastenzeit vor Ostern. Livenet-Kolumnistin Regula Lehmann fastet...

Ratgeber

Zielbewusst und entspannt Gute Vorsätze für 2023
Die ruhigere Zeit zwischen Weihnachten und Neujahr scheint dazu einzuladen, dass man sich überlegt...