Wissenschaft bestätigt

Vergeben hilft bei Heilungsprozess

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Psychologie und die Psychotherapie haben Vergebung als wirkungsvolle therapeutische Intervention entdeckt.

Eine Gesellschaft benötigt Rituale, um mit dem Phänomen zwischenmenschlicher Schuld umzugehen. Jeder Mensch kann zum Täter und zum Opfer von Schuld werden. Im Umgang mit diesem Dilemma ist eine wirksame Lösung erforderlich. Wenn keine Aufarbeitung von Schuld geschieht, kommt eine destruktive Dynamik in Gang, die sich sogar die nächste Generation überträgt.

Auf einer kollektiven Ebene versuchte die Wahrheits- und Versöhnungskommission in Südafrika, die Schuld des Apartheidsregimes und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu verarbeiten. Solche Prozesse der Vergangenheitsbewältigung sind auch in europäischen Staaten angezeigt, deren Vergangenheit von systematischem Unrecht und Terror geprägt ist. Das gilt für die neuen deutschen Bundesländer nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Regimes der DDR und auch für die Menschen nach den Greueltaten im Balkan.

Schuld auf individueller Ebene

Obwohl sich einige Theologen fast schämen, von Schuld und Sünde zu sprechen, bezeichnen diese Begriffe eine bittere Realität menschlicher Existenz. Schuld und Sünde lassen sich am besten durch Vergebung verarbeiten. Das ist nicht nur eine zentrale Botschaft des Neuen Testaments. Es ist erstaunlich, was in modernen wissenschaftlichen Zeitschriften aus den letzten 20 Jahren zum Thema Vergebung publiziert wurde. Längst nicht nur Theologen und Psychologen beschäftigen sich damit. Es gibt mittlerweile eine beachtenswerte Vergebungsforschung, die die Bedingungen von Vergebung beschreibt, den Prozess der Vergebung und seine Auswirkungen.

Zum Beispiel das Buch von Konrad Stauss: Die heilende Kraft der Vergebung. Stauss ist ein erfahrener Psychiater und Psychotherapeut. Er beschreibt einen Vergebungs- und Versöhnungsprozess in sieben Phasen. Dieser Prozess beruht auf drei Säulen:

  • dem christlichen Menschenbild und dessen Verständnis von Vergebung und Versöhnung
  • den Erkenntnissen der Vergebungsforschung
  • dem Krankheitsverständnis von Psychotherapiemethoden mit einem interpersonellen Schwerpunkt.

Konrad Stauss betont, dass Vergebung im Kern ein religiöses Konstrukt sei. Dennoch könne man auch ohne einen spirituellen Bezug über Vergebung nachdenken und Vergebung praktizieren: «Das Wasser der Vergebung wird nicht mehr an der Quelle, sondern flussabwärts geschöpft», wenn Vergebung ihres religiösen Kerns beraubt wird und zu einer therapeutischen Technik mutiert.

Auch einseitige Vergebung befreit

Der grosse Unterschied von Vergebung und Versöhnung ist, dass Vergebung einseitig und ohne Beteiligung des Täters vollzogen werden kann. Versöhnung und eine wiederhergestellte Beziehung sind nur möglich nach vollzogener Vergebung und aufgrund von Einsicht und Reue des Täters. Wer vergibt, wird frei von der Macht des Täters, frei von vergiftenden Gefühlen wie Zorn, Groll, Selbstverachtung und dem Verlangen nach Rache. Wer vergibt, wird wieder Kapitän der eigenen Seele (Nelson Mandela).

Wer das Buch von Konrad Stauss liest, wird in der Einsicht bestärkt, dass Leugnung und Verdrängung von Schuld nicht zielführend sind. Vergebung hat nachweislich heilsame Konsequenzen für die Opfer.

Zum Thema:
Dossier «Vergebung»
Versöhnung
Umgang mit Wunden: Verletzt - und jetzt?

Datum: 05.03.2014
Autor: Dieter Bösser
Quelle: Magazin INSIST

Glaubensfragen & Lebenshilfe

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