Papst Franziskus: Mensch – wohin bist du gekommen?
Der dritte und letzte Tag seines Nahost-Besuches widmete Papst Franziskus Israel und dem jüdischen Volk. Nach dem halbtägigen Aufenthalt in Bethlehem folgte er am Montagvormittag dem israelischen Protokoll – und schaffte es dennoch, dem Programm eine kleine persönliche Note zu verleihen.
Papst Franziskus an der Klagemauer in Jerusalem, Israel
Bei einem Kurzbesuch im muslimischen Jerusalem rief Franziskus zu Verständnis für das Leid der jeweils anderen auf. Er erinnerte an den gemeinsamen Stammvater Abraham und verurteilte den Gebrauch des Namens Gottes als Rechtfertigung für Gewalt. Mit der gleichen Geste wie vor der israelischen Sperrmauer in Bethlehem, mit geneigtem Haupt und seiner Rechten auf den Steinen, verharrte er an der Klagemauer und steckte einen Zettel mit dem Vaterunser auf Spanisch in die Steinritzen, bevor er seine beiden mitgereisten Freunde, den islamischen Geistlichen Omar Abboud und den Rabbiner Abraham Skorka, herzlich umarmte.
Kranz am Grab von Theodor Herzl
Als erster Papst in der Geschichte Israels legte Franziskus am Grab Theodor Herzls einen Kranz nieder; ein Akt, der im Vorfeld von Kommentatoren als posthume Genugtuung für den Begründer des modernen Zionismus gewertet wurde. Vor 110 Jahren hatte Herzl vergeblich die Unterstützung von Papst Pius X. für seine Idee eines jüdischen Staates gesucht. Die Ehrung Herzls war gewissermassen ein Ausgleich für die ausdrückliche Rede von einem «Staat Palästina» am Vortag.
Der Besuch am Grab des Vordenkers des modernen Israel wurde erst nach dem letzten Papstbesuch 2009 ins israelische Protokoll für Staatsgäste aufgenommen. Papst Franziskus folgte diesem Ablauf, beinahe jedenfalls. Sein Halt beim nahe gelegenen Denkmal für Israels Terroropfer kam auf Bitte von Regierungschef Benjamin Netanjahu kurzfristig zustande, dürfte aber angesichts des jüngsten Attentates auf das Jüdische Museum in Brüssel, bei dem auch zwei Israelis getötet wurden, besonderes Gewicht haben.
Abgründe der menschlichen Freiheit
In der ihm eigenen Art stellte Papst Franziskus auch in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem den Menschen in den Mittelpunkt. «Wo bist du, o Mensch? Wohin bist du gekommen?», meditierte er mit biblischen Zitaten über die Abgründe der menschlichen Freiheit. Die Wurzel des Bösen macht er in der Überheblichkeit des von Gott gut geschaffenen Menschen aus. Sechs Überlebenden der Schoah, denen Franziskus im Rahmen der Zeremonie begegnete, küsste er einzeln die Hände, hörte ihnen sichtlich bewegt zu.
Die breite Öffentlichkeit in Israel interessierte sich an diesem Montagmorgen nicht besonders für den Papst – und jene, die es interessieren würde, die kleine christliche Minderheit im Land, erhielten keinen Zugang.
Ernsthaftigkeit eines Pflichtprogramms
Papst Franziskus hat bei der dornigsten Etappe seiner Reise keine Fehler gemacht. Die grosse Euphorie für den jubelgewohnten Argentinier blieb aber aus, nicht zuletzt, weil die vom Protokoll auferlegten Stationen im Zeichen des Gedenkens und der Trauer an die grossen Tragödien des jüdischen Volkes stehen. Im Gedächtnis bleiben wird das Bild der herzlichen Umarmung der «drei Freunde aus Buenos Aires» an der Klagemauer.
Nach Bildern der Herzlichkeit in der Begegnung mit Flüchtlingen in Jordanien, der Euphorie in Bethlehem und der ökumenischen Umarmung in der Grabeskirche bleibt vom Montagvormittag in Westjerusalem vor allem der Eindruck einer dem Pflichtprogramm geschuldeten Ernsthaftigkeit. Erst das Treffen mit Israels Staatspräsident Schimon Peres, mit dem Franziskus scherzend durch den Garten spazierte, schien das Lächeln auf dem Gesicht des Papstes entspannt. «Selig, der in das Haus eines weisen und guten Mannes tritt. Und ich fühle mich selig», waren die Worte, die das Katholikenoberhaupt dem Staatsoberhaupt zur Begrüssung sagte.
Kommentar
Und die evangelischen Christen?
Ein Wermutstropfen bleibt aus evangelischer Sicht. Obwohl westlich und östlich des Jordans rund 90'0000 evangelische Christen – ähnlich viele wie Katholiken – leben, fand eine Begegnung des Papstes mit ihnen nicht statt. Der Vatikan wird einwenden, dass das Programm des Pontifex ohnehin schon prall gefüllt war. Dennoch hätte eine Begegnung mit evangelischen Repräsentanten hohe symbolische Bedeutung gehabt und das Anliegen von Franziskus, mit Christen jeglicher Herkunft Beziehungen zu pflegen, unterstrichen.