Matthias Keller ist politisch der «höchste Aarauer» – und steht entsprechend oft in der Öffentlichkeit. Er sieht seine Funktion aber nicht als Machtposition. Vielmehr will er durch sein Amt die Welt der Menschen in Aarau ein Stück besser machen. Diese dienende Haltung hat für ihn viel mit seinen christlichen Überzeugungen zu tun, wie er im Gespräch für die Aarauer Regionalausgabe der «Jesus.ch-Print 50» verriet.
Matthias Keller
Was genau ist die Aufgabe des Einwohnerratspräsidenten in einer Stadt wie Aarau?
Matthias Keller: In dieser Funktion bin ich dafür verantwortlich, dass unser städtisches Parlament funktioniert. Ich lade zu den Sitzungen ein und leite diese. Im seltenen Fall, dass bei einer Abstimmung im Einwohnerrat Stimmengleichheit herrscht, obliegt es mir, den Stichentscheid zu fällen. Zu dieser Situation kam es in meiner knapp zweijährigen Amtszeit nur einmal. Damals diskutierten wir darüber, ob der Vaterschaftsurlaub für städtische Angestellte von 10 auf 20 Tage erhöht werden sollte. Dies habe ich dann per Stichentscheid unterstützt.
Was bedeutet Ihnen das Amt des «höchsten Aarauers»?
Ich wehre mich, als «höchster Aarauer» vorgestellt zu werden. Es mag zwar von den Fakten her korrekt sein, aber es widerspiegelt nicht meine Haltung. Ich sehe mein Amt nicht als eine Machtposition, sondern als Dienst an der Gesellschaft. Politik ist für mich eine Art, wie ich mich in der Gesellschaft engagieren kann. Genauso wichtig ist aber, dass Menschen sich in Vereinen engagieren – sportlich oder kulturell. Wir alle gestalten die Welt mit unserem Beitrag mit. Ich empfinde es als wichtige gesellschaftliche Verantwortung, dass wir gemeinsam herausfinden, wie wir unser Zusammenleben gestalten und uns für das Miteinander einsetzen. Politik heisst von daher auch, auf der Strasse Unterschriften für eine Initiative sammeln, sich für ein Quartieranliegen einsetzen, mit Kollegen diskutieren, zu besseren Lösungen beitragen usw. Diese Schwarmintelligenz braucht es, um miteinander zu guten Lösungen zu kommen.
Wie erleben Sie denn heute die Lebensqualität in Aarau?
Es ist schön in Aarau! Die Stadt hat eine ideale Grösse, um etwas gestalten zu können, ohne dass es unüberblickbar wird. Ich mag die Unterschiedlichkeiten unserer Quartiere, die verschiedenen Kulturen, die zusammentreffen und natürlich auch die Altstadt, die eine extrem hohe Qualität als Begegnungsort bietet. Und dann haben wir auch noch einen schönen Erholungsraum entlang der Aare.
Meine Frau und ich sind sehr glücklich hier. Seit Anfang November sind wir übrigens sogar zu dritt; wir freuen uns sehr über die Geburt unserer Tochter. Auch für Familien ist die Lebensqualität hier in Aarau sehr gut.
Herzliche Gratulation und alles Gute der jungen Familie Keller!
Vielen Dank.
Nun zum Thema dieser Zeitung. Wir berichten, dass keiner die Welt so stark beeinflusst hat wie Jesus. Er sei der «Influencer Nr. 1». Was halten Sie von dieser Aussage?
Die Frage ist, wie man das Wort «Influencer» definiert. Er ist sicher der Mensch, der die Weltgeschichte am stärksten geprägt oder verändert hat. An ihm scheidet sich die Zeit und an seinem Leben und seiner Botschaft scheiden sich die Geister. Für mich hat Influencer aber auch etwas Distanziertes. Ich kann eine Person als Fan aus der Ferne beobachten und werde auf dem Laufenden gehalten. Dies wird Jesus nicht gerecht.
Wenn wir ihn nur als Influencer sehen, erfassen wir nicht sein gesamtes Wesen. Für mich ist Jesus mehr als nur ein gutes Vorbild. Ich bin überzeugt und erlebe es auch, dass er noch heute wirkt und mit uns zusammen die Welt proaktiv gestalten möchte. Er nimmt Einfluss auf das Weltgeschehen.
Wie bringen Sie dieses übernatürliche Eingreifen Gottes mit der heutigen realen Welt zusammen?
Ich gehe nicht so stark von einer Trennung der geistlichen und natürlichen Welt aus. Allein die Weihnachtsgeschichte ist ein totaler Kontrastpunkt zu dieser Trennung. Da kommt mit dem Christkind etwas Übernatürliches in die natürliche Welt. Der griechische Philosoph Epikur prägte das Bild, wonach sich «Gott doch aus unserer Welt hinaushalten» soll. Seine Ansicht war, dass Gott in der natürlichen Welt nichts zu suchen hat. Das entspricht nicht meinem Weltbild. Für mich ist Gott hier mitten unter uns am Wirken.
Matthias Keller
Heute werden Fragen des Glaubens mehr und mehr in den Privatbereich verbannt. Finden Sie das problematisch?
Ja, das würde bedeuten, der Glaube ist etwas, das ich nur für mich im stillen Kämmerlein definiere und das nur mich etwas angeht. Aber der Glaube hat immer eine gesellschaftliche Dimension. Deshalb sollte er auch öffentlich diskutiert werden. Wir müssen doch zusammen herausfinden, auf welchen Werten wir unsere Gesellschaft aufbauen wollen. Wenn wir die Fragen des Glaubens zum Tabu erklären, verbannen wir sie in eine Subkultur. Das wäre für die Gesellschaft ein schlechtes Zeichen.
Diese Einstellung setzt voraus, dass man aufeinander zugeht und voneinander lernen will. Heute scheint der Trend aber eher dorthin zu gehen, dass jeder für sich schaut…
Ja, das stimmt. Wenn unser Ideal von uns selbst überhöht ist und wir nicht bereit sind, uns korrigieren zu lassen und unsere Unzulänglichkeiten zu sehen, dann ist das arrogant. Ob es hier um ein christliches Lebensbild oder ein anderes geht, ist völlig egal. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht einfach eine Ideologie verteidigen, sondern uns aufeinander einlassen.
Ich finde auch, dass wir Toleranz ganz neu definieren und leben sollten. Damit meine ich nicht, dass man alles gut finden muss, was das Gegenüber macht, denkt oder glaubt. Diese Erwartung ist nicht erfüllbar. Und so tun als ob ist unehrlich. Meine Definition von Toleranz wäre eher diese: Wir sind zwar nicht gleicher Meinung, aber wir reden trotzdem darüber. Für mich ist es etwas vom Wichtigsten, dass wir einen ehrlichen Umgang miteinander pflegen und bereit sind, voneinander zu lernen.
Wie setzen Sie dies in Ihrem Leben konkret um?
Indem ich mich immer wieder von Menschen in meinem Umfeld hinterfragen lasse. Wissen Sie, was der schlimmste Wunsch zum Geburtstag ist? – «Bleib wie du bist!» Das müssen Sie mir wirklich nicht wünschen. Ich will mich doch weiterentwickeln. Und dazu brauche ich Menschen um mich herum, die mich nicht nur bestätigen, sondern mein Verhalten auch mal kritisch hinterfragen. In diese «Charakterschleife» gehört für mich auch, dass ich mein Leben von Jesus spiegeln lasse und ihn einlade, mein Leben zu beeinflussen.
Weshalb geben Sie Jesus diesen hohen Stellenwert im Leben?
Weil er für mich glaubwürdig ist. Die Lebensberichte über ihn sind für mich von grosser Relevanz. Seine Worte und sein Leben ermutigen mich immer wieder, fordern mich aber auch heraus. Er zeigte, was es heisst echt und barmherzig zu sein.
Dabei war er ja gar nicht immer nur nett zu seinen Mitmenschen. Die geistlichen Führer und Idealisten seiner Zeit hat er zum Beispiel als Heuchler und als «Schlangenbrut» an den Pranger gestellt. Er wies sie zurecht, dass es nichts bringt, nur über ein heiliges Leben zu sprechen, wenn keine Taten der Liebe folgen. Es gehört zum Kern der christlichen Botschaft, dass wir uns um unsere Mitmenschen kümmern, uns miteinander und zusammen mit Gott für eine bessere Welt einsetzen.
Cover der Regionalausgabe «Influencer Nr. 1» für Aarau.
Wie versuchen Sie das in Ihrem Leben umzusetzen?
Wie ich bezüglich meines politischen Engagements sagte: Ich möchte meine Energie fürs Miteinander einsetzen und nicht nur das tun, was mir gerade am meisten Spass verspricht. Vor einem Jahr habe ich einen Einsatz in Griechenland geleistet und mich drei Wochen lang an gestrandete Menschen verschenkt. Ich habe für sie gekocht, mit ihnen Pingpong gespielt, mir ihre Geschichte angehört. Um die Welt eines anderen Menschen ein Stück besser zu machen, muss man aber nicht nach Griechenland reisen. Das ist überall auf der Welt nötig und möglich – auch in der direkten Nachbarschaft!