Filmtipp: Jimmy Carter Doku

Der Rock'n'Roll-Präsident und Beter

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Jimmy Carter (Bild: zVg)
US-Präsidenten sind hoch im Kurs. Die einen mit steigender Popularität, die andern im Sinkflug. Jimmy Carter ist ganz oben auf der Beliebtheits-Skala, konnte diplomatische Erfolge feiern und ist mit seinen knackigen 96 Jahren immer noch diakonisch aktiv. Ein Filmtipp für die kalte Jahreszeit.

Mit den vergangenen US-Wahlen erhält die SRF-Doku eine bestechende Aktualität. Immer wieder zieht der Zuschauer zwangsläufig Parallelen zum präsenten Polit-Alltag, wenn Jimmy Carter beispielsweise sagt: «Jetzt ist eine Zeit der Heilung, wir wollen wieder Glauben, Vertrauen und Wahrheit haben. Es soll das Volk sein, das mit dem Präsidenten regiert, und nicht umgekehrt.»

Beim süffigen Streifen aus dem Jahr 2018 ziehen sich zwei Hauptstränge durch die 50 Minuten: die Musik als politisches Werkzeug und Stimmungsmacher und Carters grosser Freundeskreis.

Auffallend ist auch: Das Leben der Familie Carter ist permanent von Gebet begleitet.

Hüter der Wahrheit und Afro-Kirche

«Amerika ist damit beschäftigt, geboren zu werden – nicht zu sterben», zitiert Jimmy Carter den damals top-angesagten Bob Dylan, den er zu seinen Freunden zählt; oder Harry Belafonte mit: «Die Musiker sind die Hüter der Wahrheit.»

So wird der Zuschauer von Musik-Grössen wie Willie Nelson, den Alman Brothers oder dem erwähnten Überpoeten durch die Doku geführt. Sie offenbart, wie damals diese Musiker Carter beim Wahlkampf zu seinem Sieg verhalfen. Ein noch unbekannter Politiker will US-Präsident werden und sammelt mehr und mehr Beliebtheit, indem er Konzerte als Rahmen für seine Ansprachen nutzte.

Die Kamera zoomt bei Filmbeginn in eine Kirche in ein offenes Kirchengesangbuch und zeigt später den Kirchgänger Carter, der mit Afroamerikanern aufwuchs. Multikulti war normal für ihn. Auch das war prägend für sein ganzes Leben. Er wird als einer beschrieben, der Leute zusammen brachte. Dasselbe wiederum behauptet er von der Gospelmusik und der Musik im Allgemeinen.

Versöhner von lebenslangem Hassen und Rassen

Als Kind pilgerte er mit seiner Familie sonntags oft zu mehreren Gottesdiensten und erzählt von Orten, wo 24-Stunden-Gesang dazu gehörte – damals schon.

Es war eine hitzige Zeit der Rassenunruhen, wo viel Verfolgung und Misshandlung geschah. So wurde Carter selber beim Verteidigen eines Schwarzen verprügelt und sein Hemd zerrissen. Als er Gouverneur wurde, hängte er sofort das Portrait von Martin Luther King über sein Pult.

Gleichzeitig lechzte das amerikanische Volk nach der Watergate-Affäre mit Nixon wieder nach integrer, wahrheitsgetreuer Politik. Carter hatte eine besondere Redebegabung, von der beispielsweise Bischof Michael Carry sagte, dass er es schaffte, die Seele zu berühren; gleich wie die Lieder von Willie Nelson oder Johnny und June Cash. «Er unternahm alles, um Menschen zu versöhnen, die sich ihr Leben lang gehasst haben», zeugt Jann Wenner, Mitbegründer des Rolling Stone Magazins.

US-Zeiten von Gerechtigkeit und Würde

Wie wir heute wissen, schaffte es Jimmy Carter 1977: Er wurde zum Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika gewählt. Zum Amtsantritt engagierte er die grossartigen Aretha Franklin und Paul Simon. Dieser begann mit den Worten: «Ich widme das Lied 'American Tune' in der Hoffnung, dass Zeiten von Gerechtigkeit und Würde vor uns liegen.»

Nach Bezug des «Oval Office» war das Haus offen für Besucher. Im Film sieht man Dolly Parton, Luciano Pavarotti, Bono und viele andere.

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Bob Dylan und Jimmy Carter
Naheliegenderweise erhielt auch der befreundete Bob Dylan eine Einladung, die er natürlich annahm. Er benutzte sie vor allem, um Carter über seinen christlichen Glauben zu befragen, was diesen ziemlich erstaunte. Dylan erzählte nach dieser Begegnung, wie er realisierte, dass sein Gastgeber seine Texte kannte und auswendig aufsagte – und somit seine Musik sogar im «Establishment» angekommen sei.

Die Kraft von Gebet und Musik

Jimmy und Rosalynn Carter, die seit 1946 die längste Ehe eines US-Präsidenten führen, organisierten selber Konzerte in den Regierungshäusern. Mit gemischten Jazz-Bands durchbrachen sie die Rassen-Schranken und nutzten lockere Gespräche mit Politikern aller Facetten.

Während den Verhandlungen mit Iran und Israel bat Rosalynn Carter nach einem Konzert um Gebete der Anwesenden. Das Gebet war ein selbstverständlicher, permanenter Begleiter. So zog sich Carter auch während des Geiseldramas im Iran ins Arbeitszimmer zurück, hörte Willie Nelson-Lieder und betete. Aus diesen Momenten konnte er eine Entscheidung treffen – die Entscheidung, welche alle Geiseln lebendig und frei nach Hause brachte.

Präsident für Minderheiten – aber auch Pfarrer

Typisch für die Kultur der Carters war ebenfalls die Episode, als der Chinesische Staatschef zu Besuch war und man vor dem Essen normalerweise gebetet hätte… Stille. Dann stimmten Johnny und June Cash spontan das Lied «Will the circle be unbroken» an und sangen es mit allen zusammen.

2002 erhielt Jimmy Carter den Friedensnobelpreis. Er war nach Theodore Roosevelt und Woodrow Wilson der dritte US-Präsident mit dieser Auszeichnung. Und 2015 überstand er ein Krebsleiden.

Noch heute hilft er tatkräftig, dass einkommensschwache Menschen ein Dach über dem Kopf haben und engagiert sich unter anderem in Israel.

Eine weitere Beschreibung durch Bob Dylan ziert den Filmschluss: «Er ist schwer zu beschreiben. Er ist ein schlichter Mann… hat viele Seiten: Er kennt Sorgen, findet seine Liebe – und vergisst nie, dass es einen Gott gibt. Zimmermann, Landwirt… und wenn jemand sagen würde, er ist ein Pfarrer, würde mich das auch nicht überraschen.»

Zum Film-Tipp auf SRF-Mediathek, 52 Minuten Laufzeit (nur innerhalb der Schweiz aufrufbar).

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Datum: 19.11.2020
Autor: Roland Streit
Quelle: Livenet

Kommentare

Meines Erachtens war Jimmy Carter der einzige mir bekannte Präsident, der wirklich Christ war. Er war kein Redner, aber ein "Chrampfer". Er hatte eine gesunde Bodenständigkeit, die weitgehend leider nicht gesehen und respektiert wurde. Ronald Reagan war eine "Western man" und konnte überzeugend reden, was offenbar die Amerikaner mehr schätzen als ehrliche Standpunkte; deshalb schaffte Charter die zweite Amtszeit nicht. Was er aber nachher, und bis heute getan hat und tut, ist sehr bemerkenswert, und verdient volle Anerkennung! Schade, dass die meisten Amerikaner offenbar nicht mehr in der Lage sind, klare Wahrheiten zu respektieren.

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