Evangelikale Prediger verbreiten
Verschwörungsmythen über das Virus. Das schreibt der Journalist Felix Bohr im
Spiegel-Magazin unter der Überschrift «Die Bibel und die Maske». Nicht umsonst
breite sich das Virus in freikirchlichen Gemeinden mehr aus als im
Durchschnitt. Der Politikbeauftragte der
Evangelischen Allianz reagierte auf den Artikel: Die «Christen im Widerstand»
stünden nicht repräsentativ für die evangelikale Bewegung.
Das
Magazin Der Spiegel berichtet in der aktuellen Ausgabe über freikirchliche
Christen, die zu den Verschwörungstheoretikern in Sachen Corona-Virus gehören.
Wöchentlich stehen solche Christen in Berlin. «Sie singen sich in Trance»,
heisst es im Artikel. «Sie schliessen die Augen und strecken die Arme in die Luft.
Manche schwenken bunte Banner, sogenannte Lobpreisfahnen.» Sie rufen sowohl
«Halleluja!», als auch «Keine Masken, keine Impfungen!». Das Magazin stellt
fest: «Die Schnittmengen vor allem der Pfingstbewegung zu
Verschwörungstheoretikern und Corona-Wutbürgern sind gross. Bei der
'Querdenken'-Demo Ende August in Berlin liefen 200 'Christen im Widerstand'
mit.»
«Christen im
Widerstand»
Spiegel-Autor Felix Bohr hat den Pastor Christian Stockmann
getroffen, der die Gruppe «Christen im Widerstand» gegründet hat, ein Netzwerk
evangelikaler Gegner der Corona-Politik. Im Internet hätten sich rund 680
Unterstützer registriert, so der Spiegel. «In zigtausendfach angeklickten
Predigten im Netz fabuliert der Berliner Pastor von 'Knechtschaft' durch
Corona.» Die Christen um Stockmann wehrten sich gegen Abstandsregeln und
Maskenpflicht. Das Magazin schreibt weiter: «Das Milieu der evangelikalen Freikirchen,
darunter bibeltreue Christen und sogenannte Pfingstler mit
Erweckungserlebnissen, scheint anfällig für Verschwörungsmythen.»
Evangelikale
Corona-Hotspots
Und tatsächlich gab es immer wieder auch in christlichen
Gemeinden Fälle von Corona-Hotspots. In Euskirchen mussten im Juli 500
Mitglieder einer freikirchlichen Mennoniten-Gemeinde in Quarantäne. Und im
evangelikalen Glaubenszentrum in Bad Gandersheim wurden diese Woche über 100
Fälle bekannt. Martin Fritz von der Evangelischen Zentralstelle für
Weltanschauungsfragen in Berlin erklärte, dass die oftmals kleinen Bethäuser
sowie der Gesang und die körperliche Nähe die Ausbreitung von Corona
begünstigen.
«Etwa 1 bis 1,5 Millionen Evangelikale gibt es schätzungsweise in der
Bundesrepublik. Das wären bis zu vier Prozent der kirchlich organisierten
Christen», schreibt Bohr. Die Bewegung gewinne an Bedeutung, während die beiden
grossen christlichen Kirchen im vergangenen Jahr über eine halbe Million
Mitglieder verloren. Zum Glauben der Evangelikalen gehöre, dass Kranke wie in
der Bibel durch Handauflegen geheilt und der Teufel ausgetrieben werden könne.
Das grösste Netzwerk der Evangelikalen sei die Deutsche Evangelische Allianz,
die mehr als eine Million Gläubige vertritt. «In Berlin beschäftigt sie einen
eigenen Cheflobbyisten, der Bundestagsabgeordnete bearbeiten soll.»
Allianzbeauftragter reagiert
Damit ist Uwe Heimowski gemeint, der Politikbeauftragte der
Evangelischen Allianz in Deutschland (EAD). In dem Spiegel-Artikel würden «alle
gängigen Klischees über Evangelikale bedient, als Beispiele müssen singuläre
Gruppen oder Personen herhalten, von denen dann – zu Unrecht! – auf eine ganze
Bewegung geschlossen wird», sagte Heimowski gegenüber dem Medienmagazin pro am
Samstag. Mit dem Spiegel-Autor Felix Bohr habe er ein neunzigminütiges Gespräch
geführt, in dem Heimowski gesagt habe, dass die «Christen im Widerstand» nicht
zur Evangelischen Allianz gehörten und auch den Bund freikirchlicher
Pfingstgemeinden verlassen hätten. Daher könne man sie «nicht als repräsentativ
für Evangelikale bezeichnen». Auch um weitere Themen sei es gegangen.
«Reisserische
altbekannte Vorurteile» im SPIEGEL
Von dem Gespräch sei ein einziger Satz übrig geblieben. «Wer das
im Zusammenhang des Artikels liest, für den entsteht der Eindruck, die EAD sei
ein Netzwerk, dem die angeführten Christen im Widerstand oder der
AfD-Abgeordnete Volker Münz angehören. Dass das nicht so ist, hatte ich Herrn
Bohr, wie gesagt, ausführlich erklärt», so Heimowski weiter. Die Positionen der
EAD seien öffentlich. «Die Tragik an Artikeln wie diesem ist, dass sie genau
das Gegenteil von dem bewirken, was sie – vorgeblich – bewirken wollen.» Wer
statt einer soliden Recherche und einer objektiven Beschreibung «reisserisch
altbekannte Vorurteile» bediene und «konstruktive und differenzierte Gespräche
auf eine Zeile zusammendampfe», treibe Menschen dazu, «der öffentlichen
Berichterstattung zu misstrauen und sie als 'Mainstream- oder Lügenpresse' abzutun.»
Damit treibe man Menschen zu unseriösen Informationsquellen «oder tatsächlich
in die Hände von Verschwörungstheoretikern», so Heimowski. «Und genau das will
die Evangelische Allianz in Deutschland nicht.» Heimowski ist auch
Vorstandsmitglied der Christlichen Medieninitiative pro, die das Christliche
Medienmagazin pro herausgibt.
Hygieneregeln in Korntal
Der Spiegel-Autor sprach auch mit Jochen Hägele, dem Geistlichen
Vorsteher der «Evangelischen Brüdergemeinde» in Korntal. «Bis zum Beginn der
Corona-Pandemie besuchten insgesamt 600 Gläubige die beiden
Sonntagsgottesdienste. Von solchen Zahlen können Katholiken und klassische
Protestanten nur träumen», heisst es im Bericht. Von extremen Glaubenshaltungen
wie denen der «Christen im Widerstand» distanziert sich Hägele. Es sei
gefährlich und irrational, die Gefahr des Coronavirus zu leugnen, sagt er. Die
Hygieneregeln in Korntal entsprechen den staatlichen Vorgaben, schreibt der
Spiegel.